In Internetforen beraten Laien zu Medikamenten
Online Quacksalber verordnen unsinnige Therapien: Ob Schnupfen oder Migräne: viele Menschen kurieren ihre Leiden in Eigenregie. Die Verbraucherzentrale NRW warnt vor anonymen Beratern in Internetforen, die mit völlig unsinnigen wie gefährlichen Therapien aufwarten.
„Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage oder fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“ Diesen Standardhinweis zu Arzneimitteln befolgen leichtsinnige Menschen nicht. Rund 20 Prozent der Bundesbürger nutzen laut einer Studie der Forschungsgruppe Wahlen Internetforen als Einkaufsberater für rezeptfreie Arzneimittel.
Doch viele der Laienmeinungen, beispielsweise bei Dooyoo, Ciao oder Yopi, können sich „als äußerst tückisch, sogar als gefährlich erweisen“, warnt Wolfgang Schuldzinski, Gesundheitsexperte der Verbraucherzentrale NRW.
Als Hobbydoktor kann sich dort jedermann betätigen. Mit drei bis vier Klicks anmelden, einige Minuten auf die Freischaltung warten: schon kann der User anonym, unter Kürzeln wie „ebiflo“ oder „campimo“, nahezu ungehindert seine Ansichten zu rezeptfreien Arzneimitteln kundtun.
Zwar will Forenbetreiber Dooyoo laut AGB „das Möglichste geben, um Qualität und Authentizität der eingestellten Inhalte zu sichern“: mit Regeln, Stichproben und Rauswurf unbotmäßiger Mitglieder. Ciao mahnt seine Schreiber, nur eigene Erfahrungen zu schildern. Doch weder für Richtigkeit noch für Glaubwürdigkeit und Güte der Testberichte wollen die Meinungsmittler einstehen.
Die Folge: Unsinnige Ansichten werden bei Ciao, Yopi und Dooyoo veröffentlicht. Das zeigt ein Selbstversuch der Verbraucherzentrale NRW. Als „jurex262“ stellten die Konsumentenschützer Erfahrungsberichte zu der Halstablette Neo-angin N und dem Hustenlöser ACC Akut 600 ein. Gar sonderbare Nebenwirkungen sorgten angeblich für „eine bessere Durchblutung der Füße“ und kurierten nebenher noch „eine hartnäckige Verstopfung“. Noch erstaunlicher: Die abenteuerlichen Testate wurden prompt als „hilfreich“ eingestuft. Grenzwertiges findet sich bei vielen Meinungen: etwa wenn Nutzer „imDooYoo“ nach Anwendung des pflanzlichen Erkältungsmittels Umckaloabo „aufgrund herabgesetzter Blutgerinnungsfähigkeit wie eine Sau aus der Nase geblutet“ hat, wenn „azira“ bei Yopi die Tropfen „in geringer Menge einige Wochen als Vorbeugung und zur Stabilisierung der Atemwege“ empfiehlt.
Vorsicht ist da dringend geboten: Unter Medizinern wird über Wirksamkeit und Nebenwirkungen der Trendarznei noch heftig gestritten. Den Weg zur Schmerzfreiheit kennt bei Dooyoo angeblich der User „ebiflo“. Er schluckt das Halsmittel Neo-Angin N: „auch wenn der Verdacht besteht, dass es krebserregend wäre“. Und hilft die eine Pille nicht, rät der Quacksalber zum Medizincocktail: „dann nehme ich auch Dole Dobedan, die betäuben den Hals richtig“.
Für Patientenschützer Schuldzinski sind solche Tipps schlicht „gesundheitsgefährdend“. Gerade wer zu mehreren Medikamenten gleichzeitig greife, etwa bei chronischen Krankheiten, sollte aufgrund möglicher Wechselwirkungen der Präparate auf jeden Fall den Rat eines Fachmanns einholen. Der aber finde sich kaum unter den Laiendoktoren im Internet, auch wenn einige gleich zu Dutzenden von Medikamenten eine Meinung kundtun: zu Halstabletten und Nasentropfen, zu Schmerzmitteln und Blutdruck steigernden Pillen.
Rund 300 neue „Erfahrungsberichte“ werden jeden Tag allein bei Yopi ins Netz gestellt: darunter Woche für Woche Dutzende von Laienmeinungen zu Arzneimitteln. Der Forenbetreiber Dooyoo zählt mehr als 450.000 angemeldete Schreiber.
Grund für den Boom: Oftmals erhalten Hobbymediziner ein Honorar. Wenn dem Hersteller Laienmeinungen zu seinem Produkt wichtig sind, zahlt beispielsweise Ciao zwischen einem halben und zwei Cent für einen mindestens 120 Worte umfassenden Testbericht: immer wenn ein anderes Ciao- Mitglied die Kaufberatung als „hilfreich“ oder „sehr hilfreich“ einstuft. Entgelte in Cent oder Prämien zahlen auch andere Foren. Da liegt der Verdacht nah, „dass so manches Laien-Urteil allein aus Prämiengier ins Netz gestellt wird“, so Patientenschützer Schuldzinski. Zudem sei nicht auszuschließen, dass Hersteller fleißig die eigenen Pillen loben ließen oder Präparate der Konkurrenz madig machten.
Wolfgang Schuldzinskis Forderung dürfte deshalb für die Forenbetreiber eine besonders bittere Pille sein: „Die Medikamentenecken in Internetforen müssen geschlossen werden!“
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